Es kommt der Zeitpunkt an dem die Zwillinge außerfamiliär betreut werden sollen. In einer Kita, einer Krippe oder bei einer Tagesmutter. Besonders in den ersten beiden Fällen, kann es sein, dass hier durch das Personal eine Trennung der Zwillinge empfohlen oder gar vorgegeben wird. Die Frage drängt sich auf: Muss man die Zwillinge in der Kita trennen? Und was ist der Unterschied zwischen Zwillingen und anderen Geschwistern? Kindergartenpädagogin und Psychologin Elisabeth Krista gibt Einblicke und Ideenansätze:
Zwillinge in ihrer eigenen Welt
Zwillinge, das kann jede Mama und jeder Papa von Zwillingen bestätigen, haben eine besondere Verbindung. Als außenstehende Person oder gar als Eltern kann das Gefühl aufkommen, die Kinder leben in einer eigenen Welt.
Das kann verunsichern und beängstigen. Kinder sollen ja immerhin lernen, in der Außenwelt klar zu kommen. Sie sollen Freundschaften und Beziehungen haben, sich individuell entwickeln dürfen. Aber erreichen wir das, indem wir sie in der Krippe oder Kita trennen?
Was will man mit einer Trennung erreichen?
Die Sorge mancher Eltern und Fachkräfte ist es, dass Zwillingskinder zu sehr auf sich fixiert sind. Vielleicht ist das auch deine Sorge, wenn deine Kinder jetzt in die Kita gehen sollen. Du möchtest, dass deine Kinder soziale Kompetenzen üben – mit anderen spielen, verschiedene Freunde finden, um damit ihr soziales Netz und ihre Beziehungen auszubauen.
Für viele Jahre war es üblich, Zwillinge zu trennen – aus genau dieser Befürchtung heraus. Heute weiß man: Kinder üben Beziehungen in Beziehungen. Und jede Beziehung ist einzigartig und sollte individuell betrachtet werden.
Die erste und intimste Beziehung die sie haben, ist ihr Zwillingsgeschwister. Wollen wir ihnen diese Erfahrung wirklich nehmen, indem wir sie trennen? Der Vertrauensbruch, den diese Trennung mit sich bringt, wirkt sich negativ auf die Entwicklung der Beziehungsfähigkeit aus. Warum? Weil Beziehungen mit Vertrauen zu tun haben. Der Preis ist also sehr hoch. Abgesehen davon kann eine Trennung zur Folge haben, dass die Eingewöhnung unnötig lange und qualvoll für alle Beteiligten ist – warum sich das Leben schwer machen? Mit einer Trennung in dieser Phase wird nichts gewonnen.
Kinder, die stabile Beziehungen zu den neuen Bezugspersonen in der Kita aufgebaut haben, trauen sich auch, mit anderen Kindern Freundschaften aufzubauen. Wurde hingegen das Vertrauen gleich am Anfang der Kitazeit gebrochen, indem das Geschwisterchen weggebracht wurde, können sich Kinder nur schwer auf neue Lernsituationen und Beziehungen einlassen.
Ohne Vergleich ist es besser
Ein Vorteil ist vermeintlich: Der Vergleich fällt weg. Gerade Zwillinge werden oft miteinander verglichen. Verschiedene Bezugspersonen ermöglichen eine individuellere Betreuung und Bildung und schützen vor Vergleichen, zumindest denken wir so. Andererseits: Auch in Teams wird viel verglichen und auch über Bezugsgruppen hinweg, und sogar bei Kindern, die nicht miteinander verwandt sind. Reflexion im Team ist daher das Um und Auf. Es hilft auch, die Angst vor dem Vergleich offen im Elterngespräch anzusprechen. Es ist wichtig, dass die Fachkräfte im Umgang mit Zwillingen verstehen, dass Vergleiche kontraproduktiv sind. Auch das Überstülpen von Interessen ist nicht zielführend: „Wenn Anna das mag, gefällt es Ulrike auch.“
Praxistipp für Eltern:
Besprich mit der zuständigen Fachkraft, dass es dir wichtig ist, dass beide Kinder zwar zusammen sein dürfen, dass sie aber ihre individuellen Interessen und Bildungsbedürfnisse verfolgen können! Beispielsweise dürfen alle Kinder entscheiden, ob sie an einem Angebot teilnehmen dürfen – da sind Zwillinge keine Ausnahme.
Ein echter Vorteil ist jedoch viel stärker:
Die enge Verbindung, die den Kindern Halt geben kann. Gerade für die Eingewöhnung ist das Zwillingsgeschwister ein großer Vorteil. Besuchen die Zwillinge eine gemeinsame Gruppe, werden in dieser individuell wahrgenommen und gefördert, können sie in ihrem Tempo Vertrauen zu Bezugspersonen aufbauen, und Stück für Stück selbstständiger, auch ohne ihren Zwilling werden.
Und so üben sie in ihrem eigenen Tempo, auch Zeit ohne einander zu verbringen. Sie erleben positive Dinge und können sich gegenseitig davon erzählen. Das stärkt wiederum ihre Beziehung zueinander und sie werden öfter vertrauensvoll verschiedene Angebote, Räume und Erzieher*innen aufsuchen. Vertraue deinen Kindern, dass sie den Schritt machen werden, wenn sie bereit sind. Ermutige sie liebevoll, auch mal kleine Dinge alleine auszuprobieren – auf die Rutsche, auf die Schaukel, mitspielen oder ähnliches.
Mit der Zeit, wenn die Kinder ihre individuellen Interessen ausprägen, werden sie von selbst verschiedene Angebote in der Kita wahrnehmen. Besonders in der offenen Arbeit haben sie Gelegenheit dazu, sich in unterschiedlichen Räumen aufzuhalten und Erfahrungen zu machen. Sie tun das jedoch aus einer ermutigten, freiwilligen und vertrauensvollen Perspektive.
Wie hast du dies erlebt? Teile deine Erfahrungen gerne in den Kommentarten.
Die Autorin
Elisabeth Krista arbeitet seit über 20 Jahren für Kinder und die Beziehungen, die sie prägen.Sie wurde in Österreich als Kindergartenpädagogin, Früherzieherin und Psychologin ausgebildet. In Österreich, Mexiko und Deutschland arbeitete sie in Krippen, Kitas und der freien Jugendhilfe. Jetzt fokussiert sie sich darauf, Erwachsenen zu helfen, die Beziehungen zu den Kindern in ihrem Leben zu verbessern.
Website und Blog: elisabethkrista.com
Youtube-Kanal: Elisabeth Krista
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