Über Vielfalt und Inklusion: Eine Zwillingsfamilie erzählt

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©Kraevski, canva.com

Steffi und Sinan sind glückliche Eltern von Zwillingen und teilen ihre Tipps zur Vorbereitung auf das Leben mit Kindern, wenn ein Elternteil körperlich eingeschränkt ist und erzählen uns, warum wir in Deutschland noch weit entfernt von Inlusion sind. Über Vielfalt und Inklusion: Eine Zwillingsfamilie erzählt über ihre persönlichen Erfahrungen:

Liebe Steffi, lieber Sinan,

erinnert Ihr Euch an Eure Emotionen und Gedanken in dem Moment, als Ihr erfahren habt, dass die Kinderwunschbehandlung erfolgreich war? Habt Ihr direkt erfahren, dass es zwei sind und was hat diese Nachricht in Euch ausgelöst?

Für eine höhere Erfolgsaussicht wurde uns von der Kinderwunschklinik zum Einsetzen von zwei befruchteten Eizellen geraten, daher war die Möglichkeit einer Zwillingsschwangerschaft im Hinterkopf. Dass sich trotz der sehr geringen Wahrscheinlichkeit beide Eizellen einnisten, war es dann aber dennoch eine Überraschung, wir haben das direkt beim ersten Ultraschall erfahren und uns beide sehr gefreut. Natürlich schwang auch der Respekt und die Ängste vor dieser Herausforderung mit.

Wann wurden Eure Zwillinge, mit welchem Gewicht geboren? 

Die Schwangerschaft ist bis auf einen verkürzten Gebärmutterhals, der in der 28. SSW mit Einsetzen eines Pessars behandelt wurde gut. Aufgrund eines akuten HELLP-Syndroms wurden die Mädchen bei 36+0 mit 2430 g und 2550 g per Notsectio gesund geboren. Vom HELLP Syndrom hat sich Steffi schnell und gut erholt, sodass wir nach 5 Tagen nach Hause konnten.

Wie ist die Zwillingsschwangerschaft verlaufen und wie habt Ihr Euch auf das doppelte Glück vorbereitet?

Vorbereitet haben wir uns sehr vielfältig. Vom Umzug in eine größere, rollstuhlgerechte Wohnung, die Beantragung einer Haushaltshilfe für die erste Zeit nach der Geburt, die Beschaffung der Grundausstattung für die Babies hin zu vorkochen und einfrieren von Mahlzeiten. Ebenfalls haben wir ein familiäres und soziales Hilfsnetzwerk erarbeitet, sodass wir, für den Fall dass wir vor allem anfangs alleine nicht zurechtkommen, neben Plan A und B auch C und D hatten.

Mit den Einschränkungen durch Sinan´s Querschnittslähmung, lebt ihr seit Jahren Euren Alltag und optimiert die Rahmenbedingungen so, dass möglichst wenige Hürden bestehen. Auf dem Weg ins Leben als Zwillingseltern: welche Dinge habt Ihr Euch einfallen lassen, damit Sinan Eure Zwillinge versorgen  und Dich Steffi unterstützen kann?

Damit Sinan die Mädchen insbesondere in den Wochen seiner Elternzeit mitversorgen und Steffi entlasten konnte, haben wir uns verschiedenste Dinge einfallen lassen. Wir haben beispielsweise eine große Wickelauflage auf den Tisch gelegt, damit hatte Sinan einen unterfahrbaren Wickeltisch.

Beim Kauf der Fläschchen darauf geachtet, dass er diese, auch ohne Fingerfunktion gut in der Hand halten kann. Anfangs haben es unsere Töchter sehr genossen, in einem elastischen Bauchband von den CTG Untersuchungen, das sich Sinan angezogen hat, zu kuscheln.

Auf einem festen Zwillingsstillkissen welches am Rolli festgeschnallt wurde, konnten die Babies bequem und sicher auf Sinans Beinen liegen und von ihm herumgefahren werden. Auch zum Füttern hatte sich dies bewährt.

Wie habt ihr die ersten Momente zuhause mit Euren Zwillingsbabys erlebt? Habt Ihr Euch zusätzliche Unterstützung für die ersten Wochen geholt?

Die ersten Momente mit unseren Töchtern zuhause haben wir als absolut magisch und besonders erlebt und sehr genossen. Am liebsten wären wir die ganze Zeit nur zu viert gewesen ohne Besuch der Familie. Auf das zuvor gestrickte Hilfsnetzwerk mussten wir nicht zurückgreifen, zweimal wöchentlich kam eine Haushaltshilfe die das Reinigen der Wohnung übernommen hat.

Welche Situationen waren für Euch mit den Zwillingen in der ersten Zeit besonders herausfordernd?

Herausfordernd war der chronische Schlafmangel, sowie die Balance zwischen Hilfsangeboten der Familie und Steffis Bedürfnis nach ständiger Nähe und alleiniger Versorgung der Zwillinge zu finden, ohne dabei jemanden vor den Kopf zu stoßen.

Vielfalt und Inklusion

Die Zwillinge sind nun bereits Kindergartenkinder, für sie ist ihr Papa ihr Held. Wie hat sich die körperliche Einschränkung ihres Papas auf ihre persönliche Entwicklung ausgewirkt?

Die körperliche Einschränkung nehmen unsere Kinder als gegeben war, sie kennen ihren Papa ja nicht anders. Mittlerweile stellen sie öfter Fragen, wollen beispielsweise die Geschichte seines Unfalls genau erklärt bekommen und beantworten die Fragen der anderen Kindergartenkinder.

Wir sehen es in unserer Verantwortung, unseren Töchtern dahingehend viel Toleranz, Stärke und Offenheit mitzugeben um Fragen oder unschönen Situationen selbstbewusst und reflektiert begegnen zu können.

Sie sind in manchen Bereichen wie zum Beispiel beim An- und Ausziehen vergleichsweise schneller selbstständig geworden und wir beobachten, dass sie für ihr Alter sehr hilfsbereit und vorausschauend sind. Und sie wissen natürlich ganz genau wie sie sich verhalten wenn Mama dabei ist oder wenn sie mit Sinan alleine sind ;).

Ihr habt viel Skepsis und Vorurteile im Zusammenhang mit Elternschaft und der körperlichen Einschränkung von Sinan erfahren und möchtet gerne für dieses Thema sensibilisieren. Was kann unsere Gesellschaft im Hinblick auf Elternschaft tun um für mehr Inklusion zu sorgen?

Wir stellen fest, dass wir von einer inklusiven Gesellschaft noch weit entfernt sind. Die bereits in vielen Bereichen vorhandene Integration muss in Inklusion umgewandelt werden. Es bestehen noch viele Barrieren, die allein durch Rampen oder Aufzüge nicht zu lösen sind.

Wir müssen lernen, menschliche Vielfalt und unterschiedliche Lebensentwürfe anzunehmen und mit gegenseitiger Akzeptanz gleichberechtigt zusammenleben.

Wir begegnen oft dem Thema Ableismus, also der Reduktion von Menschen mit Behinderung auf diese Merkmale und der Abweichung vom vermeintlichen Normzustand. Es wird, ohne nachzufragen, auf Fähigkeiten („der kann ihnen ja gar nicht helfen, wenn sie das Klettergerüst hoch wollen“) oder Gefühlszustände („der Arme würde seinen Kindern bestimmt gerne mehr bieten“) geschlossen. Dies geschieht aufwertend („toll, dass er als Rollstuhlfahrer trotzdem mit seinen Kindern auf den Spielplatz geht“) oder abwertend („unverantwortlich mit so einer Behinderung Kinder in die Welt zu setzen“).

Es bedarf mehr Selbstreflektion und Aufklärung. Auch muss sich beispielsweise die Darstellung von Menschen mit Behinderung in den Medien ändern.

Kinder haben eine natürliche Neugier, so erleben wir oft, dass Sinan von anderen Kindern angestarrt oder ihm Fragen gestellt werden. Den Eltern ist dies oft sehr unangenehm und sie versuchen ihre Kinder davon abzuhalten und schnell aus der Situation zu kommen. Was eigentlich gut gemeint ist, bewirkt dass den Kindern bereits von klein auf unbewusst suggeriert wird, dass Behinderung bzw. „anders sein“ etwas Komisches ist und man lieber Abstand hält.

Wenn wir neue Leute kennenlernen, bekommen wir oft im Nachhinein zu hören, dass sie überrascht waren dass wir ja doch eine ganz „normale“ Familie mit dem gleichen Alltag und den gleichen Themen einer Familie mit kleinen Kindern sind.

Was möchtet Ihr anderen Eltern in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg geben?

An Eltern mit Behinderung und Kinder(wunsch) können wir daher nur appellieren, sich nicht von der Meinung anderer beeinflussen zu lassen. Es bedarf im Vorfeld und im Alltag sicherlich mehr Planung und Organisation. Letztendlich sollte man sich aber das vor Augen führen was Kinder wirklich brauchen: bedingungslose Liebe, Sicherheit, Vertrauen und Orientierung. Und das ist unabhängig von einer Behinderung.

Wir danken euch von Herzen, dass ihr mit uns und unseren LeserInnen eure Geschichte teilt. Wir hoffen damit zu sensibilisieren und die Themen Vielfalt und Inklusion mehr in den Vordergrund zu rücken.

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